Mahler Forum

for Music
and Society

für Musik
und Gesellschaft

Kleinsche Flasche, Felix Klein, 1881

Intervention



Schmale Flasche
Eine Skulptur von Toni Schmale
Kuratiert von Felicitas Thun-Hohenstein und section.a

Was bedeutet es, eine Fläche zu öffnen, die in der Mathematik als ununterscheidbar gilt? Die Kleinsche Flasche, wie sie Felix Klein 1881 beschreibt, ist eine nicht-orientierbare Fläche, die sich weigert, zwischen innen und außen zu unterscheiden. Sie ist ein Objekt, das die Sprache der Topologie spricht: eine Sprache, in der Grenzen verschwimmen und Kategorien sich auflösen. Die Kleinsche Flasche fordert uns heraus, weil sie gewohnte Ordnungen – innen/außen, Subjekt/Objekt – aufhebt. Sie ist ein Paradox, das uns dazu anhält, unser vermeintliches Wissen zu hinterfragen.

Die Schmale Flasche von Toni Schmale greift Kleins Figur auf und in sie ein: Mit einer gezielten Geste schneidet Toni Schmale den Rüssel im Inneren der Kleinschen Flasche ab und zieht ihn heraus. Ein Schnitt, ein Öffnen – ein Akt, der aus mathematischer Ununterscheidbarkeit wieder eine unterscheidbare Welt schafft. Plötzlich gibt es wieder ein Innen und ein Außen, zwei Seiten, Orientierung. Die Skulptur wird zum Denkmodell: Sie zeigt, wie leicht wir das Paradoxe, das Unfassbare in etwas Greifbares überführen – wie sehr wir uns nach Klarheit sehnen, selbst wenn sie konstruiert ist.
Doch die Mathematik bleibt als Spur erhalten. Die gezogene Grenze erinnert daran, dass sie gemacht ist – nicht notwendig, sondern eine Entscheidung, ein Schnitt, eine Setzung. Die Schmale Flasche macht sichtbar, dass jede Trennung ein Akt ist – und dass das Ununterscheidbare als Möglichkeit weiterhin existiert, unter der Oberfläche, bereit, wieder aufzutauchen.

Diese topologische Verschiebung setzt sich im räumlichen Setting fort: Die Schmale Flasche wird bewusst an den Rand von Gustav Mahlers Komponierhäuschen positioniert. Zwischen Wald und Häuschen entsteht ein relationaler Raum. Hier wirkt die Skulptur nicht nur als Objekt, sondern als Akteurin – als Gast, der Schwellenräume markiert und Fragen nach Zugehörigkeit, Platz und Beziehung stellt. Gleichzeitig verhandelt sie Grenzen, erprobt Übergänge und macht Relationen sichtbar. Die Skulptur wird so zum Denkmodell für das In-Beziehung-Sein – zwischen Körpern, Räumen, Zeiten und Bedeutungen.

Am Samstag, dem 14. Juni 2025 wird Toni Schmales Skulptur mit der von Wally Salner konzipierten Intervention Clusterfuck experimentelle Soundperformance für E-Geige von Tony Wagner mit Schmale Flasche im Afterhour Setting von Wally Salner erweitert. Der Ausführungsort ist rund um ein Einpersonenzelt angesiedelt, das wie eine temporäre Falte im Raum zwischen der Schmalen Flasche und dem historischen Häuschen Mahlers liegt. Es entfaltet sich ein zwanzigminütiger Sounddialog: Die E-Geige, verbunden mit Effektgeräten, trifft auf die Metallskulptur und die Waldakustik – Technik und Natur, Resonanz und Störung werden in Echtzeit verhandelt.
Tony Wagners Performance begreift das Hören als aktive Praxis des In-Beziehung-Tretens: Klänge werden nicht bloß produziert, sondern als Relationen zwischen Körper, Material, Raum und Umgebung erfahrbar gemacht. Das Publikum ist eingeladen, sich in dieses Feld einzuschreiben – nicht als passive Zuhörende, sondern als Teilnehmende an einem Prozess, in dem Grenzen zwischen innen und außen, zwischen Kunstwerk und Umgebung immer wieder neu gezogen und verschoben werden.
Im Sinne des Mahler-Forum-Themas The Sound of Listening wird Zuhören hier zur politischen und ästhetischen Geste: Es bedeutet, aufmerksam zu werden für das, was sich zwischen den Dingen, an den Rändern, in den Übergängen ereignet. Die Performance macht erfahrbar, dass Hören nicht nur Wahrnehmung, sondern auch Beziehung ist – eine Form der Orientierung in einem Raum, dessen Topologie sich ständig verändert. So wird Clusterfuck experimentelle Soundperformance für E-Geige von Tony Wagner mit Schmale Flasche im Afterhour Setting von Wally Salner zum Soundtrack eines Ortes, an dem Mathematik, Skulptur, Geschichte und Gegenwart, Mensch und Nicht-Mensch in ein gemeinsames, offenes Feld des Hörens treten.
 
14. Juni – 31. Oktober 2025
Toni Schmale
Schmale Flasche, 2025
Getriebenes Blech, Stahlrohr, feuerverzinkt
Länge: 250 cm, Breite: 110 cm, Höhe: 90 cm
Umsetzung gemeinsam mit Bartholomäus Kinner
Courtesy of Galerie Krinzinger and the artist

14. Juni 2025, 11.00 Uhr
Clusterfuck experimentelle Soundperformance für E-Geige von Tony Wagner mit Schmale Flasche im Afterhour Setting von Wally Salner


Kompositionsauftrag


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Die Vergabe eines Kompositionsauftrags ist ein zentraler und bedeutender Bestandteil des Mahler Forums. Auch im Jahr 2025 wird diese Tradition der Nachwuchsförderung fortgesetzt: Die Komponistin Tinkara Zupan – eine vielversprechende Stimme aus der Kompositionsklasse von Univ.-Prof. Dr. Hakan Ulus an der Gustav Mahler Privatuniversität – wurde mit einem neuen Werk beauftragt. Die Grundvorgaben sehen eine Komposition für maximal acht Instrumente und acht Stimmen vor. Die Uraufführung findet am 13. Juni 2025 im Rahmen des Mahler Forums unter der Leitung von Alja Klemenc statt.


The Stories of Our People
(2025)
Eine Komposition von Tinkara Zupan für zwei Soprane und Ensemble (Flöte, Klarinette, Horn, Trompete, Harfe, Akkordeon, Schlagzeug, Viola, Cello, Kontrabass) nach einem von der Komponistin verfassten Gedicht.

Originaltext
The Stories of Our People
The existential struggle of light.
Trembling body, woken up by explosions.
We’re dead
and yet we share the same breath.

Our home is a war
inherited from our ancestors.
Earth is a fine place—
on fire, on fire, on fire, on fire!
Assaulted nature and human life
devalued to a statistic:
a period of consequences.

Hugged by the ocean,
yet thirsty.
Serving lies to our children,
yet hungry.

The real evil is world’s inaction.
Wounds filled with dirt and gravel.
With pieces of glass and metal.
There is no plan B.
The dead tissue needs to be removed.

Listen to the stories of our people.
To the hope of staying alive.
It’s worth fighting for.


Delimo si dih.
Gori,gori!
Žejni.
Lačni.
Zlo brezbrižnosti.
Poslušaj zgodbe naših ljudi.
Poslušaj!
Vredno se je boriti.


Hört die Geschichten unserer Leute.
Auf die Hoffnung, am Leben zu bleiben.
Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.

Hört zu!
Tinkara Zupan, Klagenfurt, 15. April 2025

Übersetzung in Deutsch:
Hört die Geschichten unserer Leute

Der Existenzkampf des Lichts.
Bebende Körper, geweckt von Explosionen.
Wir sind tot
und doch teilen wir einen Atem.

Unsere Heimat ist ein Krieg,
geerbt von unseren Vorfahren.
Die Erde ist ein schöner Ort –
er brennt, er brennt, er brennt, er brennt!
Vergewaltigt Natur und Menschenleben,
verkommen zur Statistik:
eine Zeit der Folgen.

Umarmt vom Ozean,
und doch durstig
tischen wir unseren Kindern Lügen auf,
und sind doch hungrig.

Das wahre Übel ist die Untätigkeit der Welt.
Wunden, gefüllt mit Dreck und Schutt.
Mit Glasscherben und Metallsplittern.
Es gibt keinen Plan B.
Das tote Gewebe muss weg.

Hört die Geschichten unserer Leute.
Auf die Hoffnung, am Leben zu bleiben.
Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.

Wir teilen einen Atem.
Er brennt, er brennt!
Durstig.
Hungrig.
Das Übel der Gleichgültigkeit.
Hört die Geschichten unserer Leute.
Hört zu!
Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.

Hört die Geschichten unserer Leute.
Auf die Hoffnung, am Leben zu bleiben.
Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.

Hört zu!


Tinkara Zupan, Klagenfurt, 15. April 2025



In dem Text bezieht sich Tinkara Zupan auf aktuelle weltpolitische Geschehnisse wie die Kriege in der Ukraine, in Israel und in Gaza, den globalen Klimawandel und die weltweite Armut.
Im Zuge ihrer Recherchen stellte sie sich immer wieder die Frage: Was kann ich tun? Wie kann ich helfen? Eine Antwort fand die junge Künstlerin in ihrer Komposition, indem sie den Menschen zuhörte und ihnen eine Stimme lieh – eine Stimme, die sie in ihrer Musik verarbeitet hat.

Ensemble des Alma Mahler Musikvereins
Im Jahr 2022 gründete Alja Klemenc den Alma Mahler Musikverein und das gleichnamige Ensemble (bestehend aus Studierenden der GMPU), das sich mit experimentellen Zugängen und zeitgenössischen Formaten der Aufführung klassischer und zeitgenössischer Musik verschrieben hat. Der Alma Mahler Musikverein ist bemüht, das Vermächtnis der begabten Musikerin fortzuführen, indem er innovative und pädagogische Projekte ins Leben ruft, die Malerei, Literatur und Architektur mit Musik verbinden.